NAWDIC-HALO

Die genaue Vorhersage des Ortes, des Zeitpunkts und der Intensität von mesoskaligen Extremwetterereignissen bleibt eine Herausforderung für moderne numerische Wettervorhersagemodelle. Dies liegt zu einem großen Teil an den vielschichtigen Wechselwirkungen der physikalischen Prozesse, die an der Entstehung von Extremwetter beteiligt sind. Diese reichen von Rossby-Wellen in der oberen Troposphäre, die sich über mehrere Tausend Kilometer erstrecken und mehrere Tage andauern, bis hin zum Impulstransport in der planetaren Grenzschicht und der Wolkenmikrophysik, die auf Skalen von Hunderten von Metern bis Mikrometern und Minuten bis Sekunden wirken. Ein Schlüsselmerkmal, das die Rossby-Wellen der oberen Troposphäre in abgelegenen Regionen mit Extremwetterereignissen in Europa verbindet, ist der Dry-Intrusion-Luftstrom (Carlson 1980, Browning 1997). Während der Wintermonate entstehen Dry Intrusions am häufigsten an der stromabwärts gerichteten Flanke der obertroposphärischen Rücken über dem östlichen Nordamerika. Von dieser Region aus sinken Dry Intrusions im Kaltluftsektor einer stromabwärts gelegenen Zyklone über eine horizontale Entfernung von 1000 bis 5000 km äquatorwärts ab und erreichen die Grenzschicht etwa zwei Tage später. Der Dry-Intrusion-Ausfluss wird von intensiven Wärme- und Feuchteflüssen an der Meeresoberfläche, erhöhten Grenzschichthöhen und einer Destabilisierung der unteren Troposphäre begleitet, was zu ungewöhnlich starken Windböen und extremen Niederschlägen am Boden führt (Raveh-Rubin 2017). Die Dry Intrusion stellt somit ein multiskaliges Wettersystem dar, das häufig zusammen mit Extremwetter auftritt.

Die meisten der beteiligten multiskaligen Prozesse, die für das HIW in Europa relevant sind, finden stromaufwärts über dem Atlantik statt und werden von operationellen Beobachtungssystemen nur unzureichend erfasst. Daher sind moderne Messsysteme auf Langstrecken-Forschungsflugzeugen die einzige Möglichkeit, in diesen entlegenen Regionen zuverlässige Beobachtungen mit der erforderlichen hohen räumlichen und zeitlichen Auflösung zu erhalten. Daher wurde das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betriebene Forschungsflugzeug HALO (Abb. 1) als Schlüsselkomponente von NAWDIC ausgewählt. Mit seiner großen Reichweite und hochentwickelten Instrumentierung ermöglicht HALO mehrere aufeinanderfolgende Flüge über mehrere Tage, um die Prozesse in zwei unterschiedlichen Phasen des Dry-Intrusion-Lebenszyklus zu erfassen.

Forschungsflugzeug HALO
Abb. 1: Forschungsflugzeug HALO während der HALO-(AC)3-Kampagne 2022.

Die Hauptmessperiode von HALO für NAWDIC ist für sechs Wochen vom 12. Januar bis zum 20. Februar 2026 geplant, mit Einsatzbasis am Flughafen Shannon (Irland). Eine neuartige Payload, die Fernerkundungsbeobachtungen mit In-situ-Spurengasmessungen kombiniert, wird ein umfassendes Bild der thermodynamischen Felder von der unteren Stratosphäre bis zur planetaren Grenzschicht sowie der Transport- und Mischungsprozesse in der Dry Intrusion liefern:

  • WALES (DLR): Differentielles Absorptionslidar mit vier Wellenlängen
  • HEDWIG (DLR): neuentwickeltes flugzeuggetragenes Doppler-Wind-Lidar
  • KITsonde (KIT): Modulares Multi-Sensoren Dropsonden-System
  • specMACS (LMU München): Bildgebendes Wolkenspektrometer für den solaren Spektralbereich
  • UMAQS (JGU Mainz): Quantenkaskadenlaser-Spektrometer für Spurengasmessungen
  • FISH (FZ Jülich): schnelles in-situ Stratosphären-Hygrometer
  • FAIRO (KIT): Ozondetektor
  • BAHAMAS (DLR): Grundlegendes HALO Mess- und Sensorsystem

Die NAWDIC-Messungen werden eine gezielte Bewertung der Qualität der operationellen Beobachtungs- und Analysesysteme in den für Extremwetter entscheidenden Regionen ermöglichen. Darüber hinaus wird NAWDIC detaillierte Kenntnisse über die in diesen Regionen ablaufenden physikalischen Prozesse und insbesondere über die Mechanismen liefern, die für Vorhersagefehler von Extremwetterereignissen verantwortlich sind, was letztlich zu einer besseren Darstellung der Unsicherheit in Vorhersagesystemen und besseren (probabilistischen) Vorhersagen führt.

Kontakt: Julian Quinting (KIT), Andreas Schäfler (DLR)

 

Wissenschaftliche Projekte

NAWDIC-MESO

Extremwetterereignisse, wie z. B. Starkniederschläge und extreme Windböen, treten im Bereich des europäischen Nordatlantik besonders häufig im Winter auf. Extremwetter in außertropischen Wirbelstürmen (ETCs) hängt mit verschiedenen atmosphärischen Prozessen und Wechselwirkungen auf unterschiedlichen Skalen zusammen. Tiefe Konvektion, eingebettet in die Kaltfrontregion von ETCs, ist einer der Prozesse, die Extremwetter erzeugen, und tritt auf räumlichen Skalen von 10 bis 100 km, der sogenannten Mesoskala, auf. Die korrekte Darstellung von mesoskaligen konvektiven Clustern ist nach wie vor eine der Herausforderungen in den aktuellen numerischen Wettervorhersagesystemen (NWP). Daher ist ein besseres Verständnis der Prozesse erforderlich, die zu eingebetteter Konvektion und ihrer mesoskaligen Variabilität in der frontnahen Region führen. Eine wichtige Rolle bei der Auslösung von Niederschlägen an der Kaltfront (Raveh-Rubin und Catto 2019) oder bei der Unterdrückung konvektiver Aktivität (Morcrette et al. 2007, Russel et al. 2012) könnte die Dry Intrusion (DI) spielen, ein trockener und kalter Luftstrom, der von der Tropopause zur planetarischen Grenzschicht in ETCs absinkt.

Um die beteiligten Prozesse besser zu verstehen, zielt das Projekt NAWDIC-MESO (The MESOscale thermodynamic structure near cold fronts and its role for embedded convection) darauf ab, unser Verständnis der mesoskaligen Struktur der Kaltfrontregion, der Wechselwirkung zwischen der DI und der Kaltfront und ihrer Beziehung zu tiefer Konvektion sowohl aus Lagrangscher als auch aus Eulerscher Perspektive zu verbessern. Zur Beantwortung der Forschungsfragen werden wir die Beobachtungsdaten nutzen, die während der NAWDIC-Kampagne mit Hilfe des KITsonde-Systems an Bord von HALO sowie KITcube gemessen wurden, das hochauflösende Profilmessungen der thermodynamischen und dynamischen Eigenschaften der Atmosphäre während Extremwetterereignissen ermöglicht. Die Beobachtungskomponente wird durch eine synergetische Analyse der operationellen NWP-Produkte sowie durch hochauflösende numerische Modellierung ergänzt.

Kontakt: Annika Oertel (KIT)

 

NAWDIC-FLUX

Turbulente Flüsse tauschen Wärme, Impuls und Feuchtigkeit zwischen dem Ozean und der Atmosphäre aus und beeinflussen so entscheidend die atmosphärische und ozeanische Zirkulation von der Wetter- bis zur Klimaskala. Trotz ihrer Bedeutung werden diese Flüsse nur selten beobachtet, und ihre räumliche und zeitliche Verteilung ist nach wie vor kaum bekannt. Diese Ungewissheit wirkt sich auf ihre parametrisierte Darstellung in der numerischen Wettervorhersage (NWP) aus, wo sie eine entscheidende Rolle für die Vorhersagbarkeit des Wetters spielen, insbesondere von Extremwetterereignissen wie Stürmen, Starkniederschlägen oder Dürren.

Extremwetterereignisse in den mittleren Breiten werden stark von kurzlebigen Zyklonen beeinflusst, die warme und kalte Luft umverteilen, starke Winde erzeugen und somit turbulente Flüsse produzieren. Latente Wärmeflüsse in Kaltluftsektoren von Zyklonen haben einen wichtigen Vorkonditionierungseffekt und befeuchten die marine Grenzschicht. Diese befeuchtete Luft wird anschließend in neu entstehende Zyklonen advehiert, wo sie die latente Erwärmung und Niederschlagsprozesse beeinflusst.

Das NAWDIC-FLUX-Projekt konzentriert sich auf fluzeuggestützte Lidar-Beobachtungen der latenten Wärmeflüsse in außertropischen Zyklonen. Mit Hilfe von kombinierten Wind- und Wasserdampf-Lidar-Beobachtungen werden innovative Messungen von Feuchtefluss-Profilen im Kaltsektor von Zyklonen zusammen mit einer Charakterisierung der marinen Grenzsschicht durchgeführt. Die hohe Genauigkeit und erweiterte räumliche Abdeckung dieser Beobachtungen wird eine genauere Bewertung der NWP ermöglichen. Insbesondere wollen wir systematische, auf das Wettersystem bezogene Fehler in abgelegenen ozeanischen Regionen identifizieren und so Erkenntnisse für künftige Verbesserungen der Beobachtungs- und Analysesysteme gewinnen, die für die genaue Vorhersage von Extremwetterreignissen entscheidend sind.

Kontakt: Andreas Schäfler (DLR)

 

ORIGAMI-DI

Die Messungen während NAWDIC-HALO werden es uns ermöglichen, neue Erkenntnisse über die Zusammensetzung der Luftmassen in einer Dry Intrusion (DI) zu gewinnen. Im Projekt ORIGAMI-DI (Air mass origin, transport and mixing associated with dry intrusions) werden wir hochauflösende Spurengasmessungen in Kombination mit Lagrangeschen Analysemethoden einsetzen, um den Ursprung, die Umwandlung und die Auflösung von Luftmassen in Verbindung mit DIs zu ermitteln. Letztendlich werden wir in der Lage sein zu bestimmen, wie DIs die Zusammensetzung der bodennahen Luftmassen beeinflussen.

Kontakt: Daniel Kunkel (JGU Mainz)

 

ExTrA

Die Messungen des Lebenszyklus der DI stehen in direktem Zusammenhang mit dem ERC-StG-Projekt ExTrA (Extratropical-Tropical interaction: A unified view on the extratropical impact on the subtropics and tropics at weather timescales), wobei DIs das zentrale Strömungsmerkmal sind, das die großräumige Dynamik in mittleren Breiten mit dem bodennahen Extremwetter in niedrigeren Breiten verbindet.

Kontakt: Shira Raveh-Rubin (WIS)